Wie entstehen gutachterliche Immobilienwerte?
Systembedingt laufen sie der Marktentwicklung hinterher
Am 21. Juli 2022 beendete die EZB die „Minuszinsphase“ und erhöhte den Leitzins zum ersten Mal seit 2011 auf 0,0%. Danach ging es mit den Zinsen schnell aufwärts und ab September 2023 betrug der Leitzins 4,0%. Parallel wurden Investitionen in Immobilien im neuen Zinsumfeld anders bewertet, was zu Zurückhaltung bei Transaktionen und Rückgängen der Preise geführt hat. Der Häuserpreisindex des Statistischen Bundesamts bildet diese Entwicklung genau ab.
Nach über 10 Jahren mit einer kontinuierlichen Preissteigerung von Wohnimmobilien war dieses Umfeld ein Novum für viele Investoren und hat zur Verunsicherung und Zurückhaltung beigetragen. Seit Jahresbeginn 2025 lässt sich eine Erholung erkennen.
Auf der Ertragsseite der Immobilien hat sich seit 2015 der reale Ertrag, nach Abzug der Inflationsrate, um über 1 % pro Jahr erhöht. Es fand somit nicht nur ein Inflationsausgleich statt, sondern die Geldentwertung wurde überkompensiert. Eine solche Entwicklung bedeutet für Investoren einen deutlichen Vorteil gegenüber anderen als „sicher“ oder „planbar“ bewerteten Assets wie Anleihen, da deren nominaler Ertrag über die Laufzeit in der Regel fix bleibt und durch die Inflation der reale Ertrag sogar fällt. Die in 2022 begonnene Korrektur der Immobilienpreise hat auch Auswirkungen auf Alternative Investmentfonds (AIF), die in Immobilien investieren. Während Privatanleger in der Regel nur bei einem Transaktionswunsch die Immobilienpreise beobachten, müssen AIFs die gehaltenen Assets mindestens jährlich durch einen Gutachter bewerten lassen. Diese gutachterlichen Werte bilden die Basis der mindestens jährlich veröffentlichten Nettoinventarwerte (NIW), die nach der Auswertung bei den Immobilien am Beispiel von Primus Valor-AIFs per 31.12.24 noch einmal gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen sind. Es gibt höhere und niedrigere Preise bei den Immobilien, aber bei der Mehrzahl ist der Wert noch geringer als im Vorjahr gewesen.
Im Folgenden werden die Hintergründe dieser Entwicklung erläutert und ein Ausblick auf die nächsten Jahre gegeben. Um zusätzliche Effekte wie eine Veränderung im Nutzungsverhalten oder konjunkturelle Aspekte zu vermeiden, wird sich dabei auf das Segment „Wohnen Deutschland“ konzentriert.
Zur Bewertung von vermieteten Immobilien wird in der Regel das Ertragswertverfahren verwendet. Es dient dazu, realistisch abzuschätzen, welchen Markt-/Verkehrswert eine Immobilie basierend auf ihren nachhaltig erzielbaren Überschüssen besitzt. Der Ertragswert basiert grundlegend auf den Einnahmen, die sich am freien Markt mittelfristig mit dem Mietobjekt erzielen lassen und berücksichtigt neben dem Gebäude auch den Bodenwert.
Vereinfacht wird der Jahresmietertrag ermittelt und davon werden die Bewirtschaftungskosten (z.B.Verwaltungs-, Instandhaltungs- und Betriebskosten) und der kalkulatorische Bodenertragsanteil abgezogen, um den Ertragsanteil der baulichen Anlagen zu ermitteln. Ein erhöhter (kalkulatorischer oder tatsächlicher) Leerstand mindert die Jahresmiete, hohe Bewirtschaftungskosten oder ein erhöhter Liegenschaftszins führen zu einer Reduzierung des Ertragsanteils der baulichen Anlagen. Der Liegenschaftszins ist unter anderem abhängig vom allgemeinen Zinsniveau und der Lage des Grundstücks.
Dieser wird meist alle zwei Jahre von den örtlichen Gutachterausschüssen veröffentlicht. Der errechnete Gebäudeertragswert wird anschließend mit dem Barwertfaktor multipliziert, der vom Liegenschaftszinssatz und der Restnutzungsdauer einer Immobilie abhängig ist.
Ein Beispiel: Ein Immobilienportfolio mit einem Jahresmietertrag von EUR 1.000.000, Bewirtschaftungskosten von EUR 200.000 und einem Grundstückswert von EUR 5.000.000 Euro führt bei einem Liegenschaftszins von 3,5% (EUR 175.000 auf den Grundstückswert) und einem Barwertfaktor von 20 zu einem Gebäudeertragsanteil von EUR 12.500.000. Gemeinsam mit dem Grundstückswert ergibt sich daraus ein gutachterlicher Wert für die Immobilien von EUR 17.500.000. Bezogen auf die Miete von EUR 1.000.000 würde dies einer (vereinfachten) Mietrendite von 5,71% entsprechen.
Die folgende Übersicht verdeutlicht die Auswirkungen einer Veränderung einzelner Parameter auf den gutachterlichen Wert:

In der Realität der letzten Jahre haben sich alle diese Werte verändert und damit zu der aus den Datenreihen des Statistischen Bundesamtes erkennbaren Entwicklung geführt. Dabei sind die Anpassungen der Werte nicht immer adhoc komplett erfolgt, sondern teilweise sind die Veränderungen schrittweise vorgenommen worden.
Die vom Gutachterausschuss veröffentlichten Werte werden aus zwei Jahren (z.B. 2023 und 2024) zum Stichtag 01.01.2024 ermittelt und anschließend Ende des ersten Quartals 2025 veröffentlicht. Würde jetzt im vierten Quartal 2025 die Bewertung einer Immobilie erfolgen, würde dafür der Wert vom 01.01.2024 zu Grunde gelegt werden. Dies führt zu einem nachlaufenden (geglätteten) Effekt auf die gutachterlichen Werte.
Es ist schnell erkennbar, welche Möglichkeiten ein Immobilienbesitzer hat, um den Immobilienwert zu erhöhen. Insbesondere die Verbesserung der Bausubstanz (u.a. auch durch energetische Sanierung) bietet die Chance auf eine schnellere Ertragssteigerung und damit marktüberdurchschnittliche Wertsteigerung.
Auch auf Ebene der Kapitalbereitstellung gibt es einen Faktor, der den Immobilienwert beeinflussen kann, der allerdings häufig nicht beachtet wird. Die meisten vermieteten Immobilien werden mit einem Anteil Fremdkapital (FK) erworben. Hierdurch wird weniger Eigenkapital (EK) benötigt. Bei einer positiven Wertentwicklung der Anlage lässt sich die Rendite auf das eingesetzte Eigenkapital erhöhen. Das ist der Leverage- Effekt. Oftmals wird übersehen, dass dieser Effekt auch negative Werte annehmen kann.
Anhand des folgenden Rechenbeispiels wird dies deutlich: Eine Immobilie wird (vereinfacht ohne Nebenkosten) für EUR 1.000.000 hälftig mit EK und FK erworben. Bei einer Wertsteigerung der Immobilie um 10% auf EUR 1.100.000 würde der EK-Anteil von EUR 500.000 auf 600.000 ansteigen, also ein Zuwachs von 20%. Würde die Immobilie aber im Wert auf EUR 900.000 fallen, so verlöre das EK EUR 100.000 an Wert, würde also um 20% verringert. Es ist klar erkennbar, dass der Leverage-Effekt die Wertentwicklung beeinflusst, sowohl nach oben als auch nach unten.
In Deutschland fehlen bereits jetzt hunderttausende Wohneinheiten, gleichzeitig sind die Baugenehmigungen und Baufertigstellungen weiter rückläufig. Dies führt zu einem stetig steigenden Nachfrageüberhang und real weiter steigenden Mieten. Da das Zinsniveau sich stabilisiert hat, ist davon auszugehen, dass die steigenden Mieten wieder zu steigenden Immobilienwerten führen. Damit sollten die kommenden Jahresabschlüsse in der Breite wieder steigende NIW für Investoren ausweisen. Gleichzeitig sollte der bereits begonnene Wiederanstieg des Marktes gerade jetzt attraktive Investitions-/ Einstiegsmöglichkeiten eröffnen, die zeitnah genutzt werden sollten, auch wenn bei vielen Bestandsfonds die NIW als nachlaufender Indikator wieder zu steigen beginnen.
Quelle: IC Consulting GmbH