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TARGET2-Salden Welche Bedeutung haben sie?
vom 09.09.2022

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TARGET2-Salden

Welche Bedeutung haben sie?


Der Euroraum hat zwar eine gemeinsame Währung, besteht aber aus einer Vielzahl von Ländern mit jeweils eigenen Zentralbanken. In einem integrierten Markt ist Geld ununterbrochen in Bewegung, z.B. um für Waren, Dienstleistungen oder Finanzanlagen aus anderen Ländern zu bezahlen oder wenn Banken sich gegenseitig Geld leihen, um sich kurzfristig mit Liquidität zu versorgen oder wenn Banken von den Notenbanken Kredite gegen Sicherheiten bekommen. Das transeuropäische automatisierte Echtzeit-Brutto-Express-Zahlungssystem 2 (TARGET2) ist das System, über das Geld, sowohl innerhalb von Ländern als auch grenzüberschreitend von einer Bank zur anderen fließt.

Beispielsweise kauft ein italienischer Geschäftsmann Waren in Deutschland. Seine italienische Geschäftsbank belastet das Konto des Käufers und reicht eine Überweisung an die deutsche Geschäftsbank des Verkäufers bei TARGET2 ein. Die italienische Banca d´Italia belastet nun das TARGET2-Konto der italienischen Geschäftsbank und verbucht eine Verbindlichkeit gegenüber der Bundesbank. Die Bundesbank verbucht gleichzeitig eine Forderung gegen die Banca d´Italia und schreibt den Betrag dem TARGET2-Konto der deutschen Geschäftsbank gut. Diese wiederum verbucht den Betrag auf dem Konto des deutschen Verkäufers.

Um zu vermeiden, dass jede einzelne Notenbank des Eurosystems mit jeder anderen einen eigenen Saldo aufbaut, werden am Ende des Geschäftstages alle Transaktionen in einem multilateralen Verrechnungsverfahren zusammengefasst und auf die EZB übertragen, so dass nur noch eine einzige Verbindlichkeit oder Forderung der jeweiligen nationalen Zentralbank gegenüber der EZB besteht. Diese Netto-Geldströme werden allgemein als TARGET2-Salden bezeichnet. Das oben genannte Beispiel würde somit zu einer Verbindlichkeit der Banca d´Italia und einer Forderung der Bundesbank gegenüber der EZB führen.

Über TARGET2 fließen pro Tag im Durchschnitt rund 350.000 Zahlungen im Wert von rund 1,7 Billionen Euro. Innerhalb eines Jahres werden von TARGET2 knapp 90 Millionen Zahlungen in einem Gesamtwert von rund 430 Billionen Euro abgewickelt.

Mit der Einführung des Euro wurde 1999 auch TARGET in Betrieb genommen. Es sollte eine gemeinsame Zahlungs- und Abwicklungsinfrastruktur schaffen, die Integration des Euro-Geldmarkts fördern und die Abwicklung von Großbetragszahlungen europaweit beschleunigen. Das System bewährte sich, allerdings wurde deutlich, dass es aufgrund des dezentralen technischen Aufbaus und der zu geringen Einheitlichkeit von Technik und Leistungen langfristig nicht ausreichen würde. Daher wurde TARGET2 entwickelt.
Bis zum Ausbruch der Finanzkrise in 2008 glichen sich die TARGET2-Salden der nationalen Zentralbanken jeweils relativ zeitnah aus. Banken stellten einander auf dem Interbankenmarkt in ausreichendem Maß Liquidität in Form von Zentralbankgeld zur Verfügung. In Folge der Finanzkrise kam es zum Abfluss von Liquidität aus Banken insbesondere mit Sitz in den von der Krise am stärksten betroffenen Ländern. Da jedoch der Markt für grenzüberschreitende Ausleihungen zwischen den Banken nur noch eingeschränkt funktionierte, konnten sich manche Banken nicht mehr ausreichend am Interbankenmarkt refinanzieren.

Als Reaktion stellten die Zentralbanken des Eurosystems den Kreditinstituten gegen werthaltige Sicherheiten zusätzliche Liquidität bereit und kompensierten so die eingeschränkte Funktionsfähigkeit des Interbankenmarktes. Nach dem Höhepunkt der Krise in 2012 schmolz der TARGET2-Saldo der Bundesbank wieder deutlich ab.

Seit dem Jahr 2015 steigen die Forderungen der Bundesbank wieder stärker, während die Verbindlichkeiten anderer großer Euro-Länder wie z.B. Italien und Spanien ebenfalls steigen. Aktuell ist der deutsche TARGET2-Saldo auf einem Höchststand und Deutschland damit der größte Geldgeber, wohingegen Spanien und Italien die größten Geldnehmer sind. Die Ausprägung der TARGET2-Salden liegt nach Ansicht von Experten erneut an den sehr hohen Anleihekäufen der EZB. Einige Ökonomen argumentieren, dass es sich bei den TARGET2-Salden lediglich um Verrechnungsposten handele, die grundsätzlich kein Problem darstellen. Nur wenn ein Land mit negativem Saldo die Währungsunion verlassen würde, müssten die verbleibenden Notenbanken, entsprechend ihrem Anteil am Eigenkapital der EZB, die Forderung gegenüber der EZB ausgleichen. Im Falle der Bundesbank wären das immerhin 26% der Verbindlichkeit des ausscheidenden Landes. Zudem ist Deutschland aufgrund der hohen Leistungsbilanz-überschüsse und seiner starken Exportorientierung besonders abhängig von anderen Ländern.

Andere Experten, wie z.B. der ehemalige Chef des Münchner Ifo-Instituts Hans Werner Sinn, sehen die TARGET2-Salden jedoch nicht als reine Rechengröße, sondern als öffentlichen Überziehungskredit der Bundesbank an andere Euro-Länder. Systemimmanent können alle Euro-Länder eigenständig Geld schöpfen, mit dem ihre Bürger und Unternehmen dann Waren und Dienstleistungen auch in anderen Ländern kaufen können.

Aus Sicht der Kritiker ermöglicht die expansive Geldpolitik der EZB den schwächeren Euro-Ländern Kapitalflucht und kreditfinanzierte Importfinanzierung. Zudem wird dadurch der Reformdruck auf diese Länder verringert. Die Kritiker fordern, dass auch diese Euro-Länder ihre Wirtschaftspolitik darauf ausrichten, produktiver und wettbewerbsfähiger zu werden und Gelder aus den stärkeren Euro-Staaten anziehen. Italien hat beispielsweise die höchsten Lohnstückkosten. Die strukturellen Unterschiede zwischen den Ländern müssen aber mittel- bis langfristig abgebaut werden.

Die TARGET2-Salden sind das Ergebnis der expansiven Geldpolitik in der EU in den vergangenen Jahren. Ein deutlicher Rückgang der TARGET2-Salden ist erst zu erwarten, wenn das Eurosystem die im Rahmen seiner Sondermaßnahmen geschaffene Liquidität wieder abbaut und der grenzüberschreitende Interbankenmarkt im Euro-Währungsgebiet an Bedeutung gewinnt. Mit der ersten Leitzinserhöhung der Europäischen Zentralbank seit sehr langer Zeit und der generellen Straffung der Geldpolitik wird sich in der Praxis zeigen, ob die TARGET2-Salden tatsächlich zurückgeführt werden.

Die TARGET2-Salden sind und bleiben ein kontrovers diskutiertes Thema. Es handelt sich um mehr als eine Rechengröße, aber nicht um Lieferantenkredite. Die Summen sind absolut hoch, aber angesichts der gigantischen Zahlungsströme nachvollziehbar. Die (expansive) Möglichkeit aller Euro-Länder Geld zu schöpfen, ist aber riskant und könnte zu finanziellen, wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen in der EU führen. Auch dieses Thema ist ein Grund für eine besser koordinierte europäische Finanzpolitik.

Quelle: IC Consulting GmbH